Als ich mich mit meinem Freund Martin Dziuba im Lo Fūfu durch das ziemlich beeindruckende Fischmenü arbeitete, fiel mir auf, wie selten ich an runden Tischen sitze. Praktisch nie. Es gab Anchovies mit Chiliöl und Kartoffelmousse; sizilianischen Gambero Rosso mit Straciatella und vielleicht ein bisschen zu oft Hamachi, dafür am Ende hausgemachte Tagliolini mit Trüffeln UND Jakobsmuscheln. Mit Fine-Dining-Comfort-Food – es wird weiter unten noch mal Thema sein – ist das ja so eine Sache. Klar, kriegt man damit Hungrige satt und Kritikerinnen glücklich, aber darf eine Köchin es sich so leicht machen? Ich finde schon. Viele meiner herzhaften All time favourites (Sven Wassmers Saibling mit Tannenrahm, Trüffelpasta bei La Piola) fallen jedenfalls in diese Kategorie.
Das Lo Fūfu ist ein kleindimensioniertes Kantstraßenlokal, Martin und ich bekamen den größten und einzigen runden Tisch, und wirklich, wo außer in den nebenan gelegenen Chinabuden, dort in drehbarer Form als Lazy Susan bekannt, gibt es noch runde Tische? Noch dazu mit weißem Tischtuch?
Eine runde Sache ist auch das Wahrzeichen meiner Wahlheimat. Seit Monaten hatte diese gefühlt kein anderes Thema als die kulinarische Neuausrichtung des Fernsehturms. Nach mehrmaliger Verschiebung des Eröffnungstermins, über den sich niemand ernsthaft wunderte, war es Anfang Juni so weit. Beim Pressetermin konnte ich nicht dabei sein, dafür wenige Tage später. Wirklich gelungen ist die Innenausstattung in Sundowner-Farben mit Messinglampen und DDR-Bestuhlung. Die Corporate Identity des Sphere by Tim Raue ist mir hingegen zu pink, das wording (“Berlins High Society”) zu kiezcool, spricht aber sicherlich viele an. Gleiches gilt für das Essen. Morgens gibt es Croissantteig-Donuts, ab mittags dann Preußenklassiker wie Soljanka, Garnelencocktail KaDeWe und Königsberger Klopse. Löbliches Zugeständnis an den Zeitgeist: Broiler geht auch vegan. Mein Zander mit Estragonpüree war solide, die Schmorgurken blieben aufgrund persönlicher Präferenz leider unberührt. Von den Desserts mochte ich die leicht salzige Käsekuchencreme und irgendwie auch das Banana Split. Alles Welten von der Exzellenz des Flagshiprestaurants entfernt, aber natürlich auch um ein vielfaches günstiger. So oder so dreht es sich hier doch vor allem um die Location, den sich tatsächlich überraschend flott rotierenden Turm. Wahnsinn, wie ausgedehnt die Stadt von 207 Metern aus wirkt! Ist das dahinten der Kreuzberg? Der Estrel Tower? Mein Schlafzimmer?
Kurz bevor die Tage schon wieder kürzer werden, hat sich der Sommer endlich gen Norden gekämpft. Obwohl ich bei allen Temperaturen Eis essen kann, macht es bei 25 Plus noch mehr Spaß. Ich sage es gerne nochmal: Berlins bestes Eis gibt es bei Jones, jedenfalls als Gesamtpaket betrachtet (denn ich liebe ja auch Duo, und gerade eröffnete zwanzig Meter von meiner Wohnung entfernt eine vegane Tribeca-Filiale mit Bestenlistenpotenzial). Eine Einschätzung, die auch Tim Raue teilt, wie er mir für die Berliner Zeitung verriet: “In meiner Tiefkühltruhe liegen bestimmt fünfzig Jones-Becher. Die Sorte Cheesecake mit Rhabarber und salzigen Butterstreuseln ist eines meiner Hardcore-Guilty-Pleasures.” Meine sind Carrot Cake mit Karotten-Swirl; das fruchtig statt klebrige Peanut Butter & Jam; Vanilla Caramel Brownies mit Riesenteigstücken und Karamell, und das waren nur die besten der sechs verkosteten Sorten. Das Runde muss ins Keilförmige, nämlich eine handgemachte Butterwaffel. Nur einen Kritikpunkt habe ich: Können sie bitte aufhören, die Sahne mit Vanillearoma und Zucker aufzumöbeln?
Noch einen runden Seelentröster gab es in jenem Hinterhofschuppen, in dessen Erdgeschoss ich früher die Nächte verschwendete. Jetzt wird eine Etage höher diniert. Essen ist der Rave des Alters! In Sachen vegetarischem Fine Dining hat das Cookies Pionierarbeit geleistet. Viele Gänge von Nicholas Hahns frühsommerlichem Menü gefielen mir richtig gut, allen voran die Paprikavariation, perfekt gepaart mit einem spritzigen Cuvée Cassy von der Bôtan Distillery. Abgesehen von weiteren tollen Flaschen von Arensbak und Villbrygg waren viele Positionen der alkoholfreien Begleitung hausgemacht. Manches war mir zu süß, anderes wie Paprika, Pfirsich und Sencha wunderbar ausbalanciert. Zum Weglöffeln war die Kartoffelcreme mit Kartoffelrisotto, geräuchertem Eigelb, Bärlauch und Belper Knolle, ebenso wie die seit fünfzehn Jahren auf der Karte stehenden Parmesanknödel, deren Säure so energisch nach vorn prescht wie wir früher auf dem Dancefloor.
Knödel gab es noch ein zweites Mal, und zwar in der österreichischen Botschaft. Für Zeit Online porträtiere ich Lucas Huemer, der dort seit vielen Jahren die Stellung hält, mit einem ungewöhnlichen, sich Ösiklassikern verweigernden Konzept. Es war mein dritter Besuch, beim ersten Mal gab es bunte Rüben mit Senfkaviar und Kracher-Reduktion („vorhin im Kühlschrank gefunden, musste weg“) sowie Burnt Basque Cheesecake, beim zweiten Mal Kaiserschmarren, jetzt erfüllte sich mein Germknödeltraum. Nicht nur, weil ich sie essen wollte, sondern auch das Geheimnis deren Zubereitung erlernen. Die meisten meiner Versuche, und das passiert wirklich selten, landeten nämlich im Müll, gelungen sind sie nur ein einziges Mal, und zwar mit jenem Thermomix, dessen neue Version ich für einen Tagesspiegel-Selbstversuch in Kürze testen werde. Lucas servierte dazu stilecht Butter statt Vanillesauce und machte aus den Resten eine Art Germknödel-Monkey-Bread, das wir ofenwarm in der Küche stehend verschlangen.
Mit knödelrundem Bauch ging es dann zur Dokumentale, ein Medienfestival auf einem mir bis dahin unbekannten Neuköllnareal, mit unverstelltem Blick aufs Tempelhofer Feld. Die von der untergehenden, chinotto-farbenen Sonne beschienene Dachterrasse ist definitiv einer meiner Top-3-Lesespots (unerreicht auf Platz eins: der Kartoffelacker der Roten Wand). Es moderierte die inspirierende Nadia Shehadeh. Als Souvenir aus ihrer Heimatstadt Bielefeld brachte sie eine Dr. Oetker-Puddingselektion mit. Eine großartige Idee – auch wenn diese vier “Seelenwärmer” weder auf einem runden noch eckigen Tisch von mir verzehrt werden. Schließlich ist es gerade warm genug.
Liebe ich auch:
Dass Rewe BRLO Naked ins Sortiment aufgenommen hat.
Das stets interessant kuratierte Fotografiska-Programm, dieses Mal in Form von Chiara Wettmanns poetischen Szenen einer Berliner Strafanstalt und Toiletpapers wahnwitzigem Paralleluniversum.
Hasse ich:
Wie voll können Fahrradwege sein? E-Scooter, Essenslieferanten und, ja, Fahrräder streiten sich um einen stellenweise handtuchbreiten Streifen. In Wien ist das während-der-Fahrt-aufs-Smartphone-Schauen übrigens gesetzlich verboten.